Verbrechen und Strafe Rodion Raskolnikow
Erste Entwürfe zu 'Verbrechen und Strafe' notiert Dostojewskij bereits 1865. Der Roman erscheint 1866 in der Zeitung 'Russkij Westnik'in sechs Teilen . "Anfang Juli, es war außerordentlich heiß, trat gegen Abend ein junger Mann aus seiner Kammer, die er in der S.-Gasse zur Untermiete bewohnte, auf die Straße hinaus und ging langsam, als wäre er unentschlossen, auf die K.-Brücke zu. Glücklicherweise war ihm eine Begegnung mit seiner Wirtin auf der Treppe erspart geblieben. Seine Kammer lag unmittelbar unter dem Dach eines hohen, fünfstöckigen Hauses und glich eher einem Schrank als einem Wohnraum. Seine Wirtin, bei der er diese Kammer samt Mittagessen und Aufwartung gemietet hatte, wohnte ein Stockwerk tiefer in einer separaten Wohnung, und jedesmal, wenn er das Haus verließ, kam er zwangsläufig an ihrer Küche vorbei, deren Tür zum Treppenhaus fast immer sperrangelweit offenstand. Und jedesmal, wenn er vorüberkam, hatte der junge Mann eine peinigende und feige Empfindung, er schämte sich ihrer und runzelte die Stirn. Er war bei seiner Wirtin tief verschuldet und fürchtete sich, ihr zu begegnen. Nicht, daß er besonders feige und eingeschüchtert gewesen wäre, ganz im Gegenteil; aber seit einiger Zeit befand er sich in einem reizbaren und angespannten Zustand, einer Art Hypochondrie. Er war so sehr mit sich selbst beschäftigt und hatte sich so sehr von allen zurückgezogen, daß er sich überhaupt vor einer Begegnung fürchtete, nicht nur vor der mit seiner Wirtin. Die Armut hatte ihn erdrückt; aber sogar seine bedrängte Lage kümmerte ihn in der letzten Zeit nicht mehr. Mit seinem Alltag beschäftigte er sich nicht länger und wollte es auch nicht tun. Vor seiner Wirtin fürchtete er sich eigentlich nicht im mindesten, was sie auch immer gegen ihn vorhaben mochte." - so beginnt nicht nur einer der größten Romane aller Zeiten, sondern ein Geschichte, die an atemberaubenem 'Suspense' nichts zu wünschen übrig läßt. Marcel Reich-Ranicki nannte diesen Roman den größten Kriminalroman der Weltliteratur. Rodion Raskolnikow, ein verarmter Student wird zum Doppelmörder, allein um eine Theorie zu bestätigen. Er ist von der Idee besessen, daß es dem 'großen Menschen' (wie Napoleon) erlaubt sei, 'lebensunwertes Leben' mitleidslos zu vernichten. Dem Doppelmord folgt jedoch der psychische & physische Zusammenbruch - der 'Möchtegernheld' Rodion Raskolnikow ist seiner vom Verstand ausgeheckten Tat seelisch nicht gewachsen. Sein wunderliches Verhalten führt seine Umgebung zunehmend dazu, ihn als Täter zu erkennen. Was begründet ethisches Verhalten, dies ist eine der Leitfragen des Romans. Das Problem des Nihilismus', der Gottferne rückt dabei in den Mittelpunkt; Dostojewskij nimmt philosophische Thematiken vorweg, die Nietzsches Philosophie schließlich dominieren werden. Friedrich Nietzsche schätzte übrigens den Psychologen Dostojewskij außerordentlich. Dostojewskij selbst vertrat die Auffassung: "Moralische Ideen entstehen aus religiösen Gefühlen. Logik kann sie niemals rechtfertigen." Schließlich erkennt Rodion, daß einzig noch das Geständnis der Schuld und die Strafe ihn von seiner Seelenpein befreien kann. Die eigentliche Rettung aber kommt durch die erlösende Kraft der Liebe, die er als Strafgefangener in Sibirien durch die ihm freiwillig gefolgte Prostituierte und Christin Sonja erfährt. Der Roman wurde in Deutschland stets unter dem Titel 'Schuld und Sühne' veröffentlicht. Die hochgelobte Neuübersetzung von Swetlana Geier (1994) heißt aber viel prosaischer 'Verbrechen und Strafe'. Darauf geht sie in einem Interview ein: "Sie wählten für den unter dem Titel "Schuld und Sühne" bekannten Roman den für deutsche Ohren ungewöhnlich sachlichen und eher an ein juristisches Handbuch erinnernden, aber richtigen Titel "Verbrechen und Strafe". Warum? Ich habe nur den ursprünglichen Titel übersetzt. Seit eh und je lautet er englisch "Crime and punishment" und französisch "Crime et châtiment". Der pathetische deutsche Titel war ja kaum noch auszurotten. Er hat wohl etwas mit der besonderen Seelenlage und der reformatorischen Tradition der Deutschen und ihrem Verständnis der Spannung von Gnade und Sühne zu tun. Auch der hochtrabende Titel "Die Dämonen" heißt schlicht nur "Böse Geister". Wir empfehlen allen Lesern die Neuübersetzung von Swetlana Geier. |