Der ewige Ehemann
Nach „Der Idiot“ (1868-69) beabsichtigte Dostojewski einen weiteren Großroman in Angriff zu nehmen, der seinen Vorgängern in Art und Umfang ähnlich sein sollte. In den Herbst- und Wintermonaten 1869-1870 entstand in Windeseile der Romanentwurf zu „Der ewige Ehemann“. Jedoch bestanden bereits andersartige Vertragsverpflichtungen und der Entwurf wurde 1870 in der kurz zuvor gegründeten Sarja („Die Morgenröte) als Erzählung veröffentlicht. Zu dieser Zeit hielt sich Dostojewski noch in Dresden auf, in Gedanken jedoch hauptsächlich im gelobten und ersehnten russischen Land. Die Geschichte, errichtet auf einem in der Vergangenheit liegenden betrügerischem Dreiecksverhältnis, wird 9 Jahre später durch die Personen Weltschaninow, einem Lebemann von Welt, und einem Herr mit Trauerflor am Hut, Pawel Pawlowitsch - der Titelfigur, ausgetragen. Weltschaninow, vor langer Zeit der Liebhaber einer Dame und jüngst verstorbenen Ehefrau, lebt nun in Petersburg. Der Beamte Pawlowitsch, ihr Mann, der sich heuer als Witwer allein um das gemeinsame Töchterchen Lisa kümmern muss, wird durch einen hinterlassenen Brief seiner verstorbenen Frau Natalia Wassiljewnas von der verruchten Veruntreuung erfahren. Der Ahnungslose hätte die Last der Trauer aus Liebe zu seinem Kind bereitwillig auf sich genommen, doch als Eingeweihter bricht eine Welt für ihn zusammen. Der beleidigte Träumer wird begreifen, dass er die vielen Jahre seine Liebe nicht seinem Töchterchen, sondern dem Kind einer Lüge und Maskerade gewidmet hat. Er kommt unter Vorwänden nach Petersburg und sucht, verkrampft im Dauerzustand des Rausches, mehrfach Weltschaninow auf, der das merkwürdige Verhalten des einst freundlichen und maßvollen Menschen nicht zu deuten weiß. All der Unrat, wovon der brave Beamte sich bisher abwenden konnte, tritt nun zu Tage. Dostojewskis entkleidet seine Titelgestalt. Der in rasenden, allumfassenden Rachegelüsten gefangenen Pawlowitsch, kann sich seinem zwanghaften Ziel, Weltschaninow zu töten, nicht mehr entziehen. Im Leid des Kindes sieht er eine weitere Genugtuung und Strafe für den schamlosen Beleidiger. Zum Nachsehen des Kindes ahnt der wahre Vater das boshafte Spiel dieser tollen Bestie jedoch erst dann, als das Kind qualvoll vom Leid umnachtet entschläft und er des Nachtens selbst dem Tode ins Auge sehen muss. Im Epilog lässt der Zufall die Kontrahenten kurz vor Abfahrt eines Zuges erneut aufeinandertreffen. Die Rollen befinden sich wieder weitgehend in ihrer Ausgangsposition. Pawlowitsch frisch getraut, ist darum bekümmert, sich und seine Frau schnellstmöglich der Anwesenheit des charmanten und überlegenen Weltschaninow zu entziehen. Weltschaninow lässt den Verängstigten schließlich gehen. „Weltschaninow blieb auf dem Bahnhof zurück und setzte erst gegen Abend mit dem nächsten Zug seine Reise fort (...) – die Stimmung war ihm verdorben.“ Leider spürte ich besonders am Ende der Geschichte den Charakter eines recht verschlossen Werkes, das sich nur szenenhaft entfalten kann. Im Gegensatz zu der komischen Beleuchtung eines Erniedrigten, wie er zur damaligen Zeit in Europa meist dargestellt wurde, besitzt der betrogene Ehemann bei Dostojewski überwiegend tiefe tragische Züge. Auffallend ist, wie in allen seinen Büchern, der eigentümliche Dostojewski-Mensch. Seine entzweite Natur ist durch Hemmung und Ungewissheit gekennzeichnet. Nunmehr geht es in dieser Verirrung, Ausstoßung und Separation des ewigen Ehemannes nicht um den schändlichen Betrug und dessen denkbaren Konsequenzen – es geht um die Darstellung menschlicher Grenzsituationen. Stefan Zweig beschrieb Dostojewski in ‚Die drei Meister’ „... dieses Einzigen Werte und Gewalt will ein neues Maß. ... zwischen Tod und Wahnsinn, Traum und brennend klarer Wirklichkeit steht seine Welt.“ Dem soll einzig die Empfehlung zugefügt sein, sich diesem Lese- und Denkerlebnisses unbedingt hinzugeben, um wenigstens für den Moment Teil wahrhaft großer Weltliteratur zu sein. Empfehlen möchte ich Ihnen die Reclamausgabe, übersetzt von Dieter Pommerenke. |