Bibliographie

Die hier aufgeführte Bibliographie besteht aus zwei Teilen. Zunächst finden Sie, falls Sie sich noch nicht so umfassend mit Fjodor Dostojewskij beschäftigt haben, Buchtippstipps, wie man beginnen könnte, sich dem Werk zu nähern. Diese Empfehlungen können Sie bei Amazon bestellen. Unten folgt eine bibliographische Liste, wobei sich hinter den angegebenen Büchern kurze erläuternde Kommentare finden.

Aufzeichnungen aus dem Kellerloch

 

"Das Bewusstsein hoher Geburt ist eine moralische Kraft . . ."(Lord Byron), doch freiwillig in einem Loch zu leben, einer Ratte gleich, inmitten von Schmutz und weit ab aller gesellschaftlicher Werte, birgt noch viel größere Kraft in sich

- könnte unser Held in den "Aufzeichnungen aus dem Kellerloch " gesagt haben.

Tatsächlich entwirft hier Dostojewskij - nun immer öfter von starken epileptischen Anfällen heimgesucht, durch Spielschulden fast völlig ruiniert und unter Eindruck des Todes seiner Frau, seines Bruders Michail und seines engsten

Mitarbeiters Apollon Grigorjew - das Bild eines Menschen, der sich nervlich zerrüttet und angeekelt von den gesellschaftlichen Konventionen seiner Zeit in sein Kellerloch zurückzieht, um dort in Einsamkeit das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit vom Diktat einer alles beherrschenden "Vernunft" zu verteidigen.

Dostojewskij, der Psychologe oder besser "Realist in einem höheren Sinne" - so wie er sich selbst bezeichnete-, dekonstruiert hier in meisterlicher Art die Gedanken des Helden, reflektiert dabei über Aufklärung und Religion, Hass und Liebe, Verzweiflung und Hoffnung, Moderne und Tradition und stellt so eine Menschheit in Frage, die sich in ihrer Entwicklung nicht mehr von den Prinzipien der Einzigartigkeit des Einzelnen sondern von denen der Effizienz der Gruppe leiten lässt.

Die brilliante "Dialektik eines Verzweifelten" -von Nietzsche als "wahrer Geniestreich der Psychologie" bezeichnet-, die auch heute noch zeitgemäße Kritik an einer Technokratie vorbereitenden Vernunft und die tragische Geschichte des Scheiterns beim Versuch sich doch noch als Mensch zu behaupten, machen dieses erstmals 1864 in der Literaturzeitschrift 'Epocha' erschiene Buch zum vielleicht 'Größten' aller kleinen Romane Dostojewskijs.

 

-„...geben Sie uns ,meinetwegen, größere Selbstständigkeit, Ellenbogenfreiheit, erweitern Sie das Tätigkeitsfeld, lockern Sie die Bevormundung, und wir... aber ich versichere Ihnen: wir werden sofort wieder um Bevormundung betteln ...Mensch zu sein – ein Mensch mit wirklichem eigenen Fleisch und Blut; wir schämen uns dessen, halten es für eine Schmach und trachten lieber danach, irgendwelche phänomenale Allgemeinmenschen zu sein. Wir sind Totgeborene, werden wir doch schon lange nicht mehr von lebendigen Vätern gezeugt, und das gefällt uns immer besser und besser. Wir bekommen Geschmack daran. Bald werden wir soweit sein, dass wir von einer Idee gezeugt werden. Aber genug...“

 

"... ferner, daß der Mensch sich auch jetzt noch, wenn er auch schon gelernt habe, in manchen Dingen klarer zu sehen als in barbarischen Zeiten, doch noch lange nicht daran gewöhnt habe, so zu handeln, wie es ihm die Vernunft und die Wissenschaften vorschreiben. Immerhin sind Sie, meine Herrschaften, vollkommen überzeugt, daß er sich bestimmt daran gewöhnen werde, in Zukunft, wenn auch die letzten alten, dummen Angewohnheiten ganz vergessen sein und die gesunde Vernunft nebst der Wissenschaft die menschliche Natur vollständig umerzogen und auf den einzig richtigen Weg gelenkt haben werden. Sie sind überzeugt, der Mensch werde dann von selbst aufhören, freiwillig Fehler zu begehen, und werde seinen Willen seinen normalen Interessen sozusagen unwillkürlich nicht mehr entgegensetzen. Ja, Sie sagen sogar noch: Dann wird die Wissenschaft selbst den Menschen belehren (obschon das meiner Meinung nach bereits Luxus wäre) und ihm sagen, daß er in Wirklichkeit weder Wille noch Laune besitze noch je besessen habe und daß er selbst nichts anderes sei als eine Art Klaviertaste oder Drehorgelstiftchen und daß auf der Welt außerdem noch Naturgesetze vorhanden wären: so daß alles, was er auch tun mag, nicht durch seinen Wunsch oder Willen getan werde, sondern ganz von selbst geschehe, einfach nach den Gesetzen der Natur. Folglich brauchte man dann nur diese Gesetze der Natur zu entdecken, und der Mensch werde für seine Handlungen nicht mehr verantwortlich sein und ein ungemein leichtes Leben beginnen können. Selbstverständlich werden dann alle menschlichen Handlungen nach diesen Gesetzen mathematisch in der Art der Logarithmentafeln bis 10 000 berechnet und in einen Kalender eingetragen werden. Oder, noch besser, es werden einige wohlgemeinte Bücher erscheinen, etwa wie die jetzigen enzyklopädischen Lexika, in denen dann alles so genau ausgerechnet und bezeichnet ist, daß auf der Welt hinfort weder Taten aus eigenem Antrieb noch Abenteuer mehr vorkommen werden. Dann also (das sagen alles immer noch Sie, meine Herrschaften) werden die neuen ökonomischen Verhältnisse beginnen, vollkommen ausgearbeitete und gleichfalls mit mathematischer Genauigkeit berechnete, so daß im Handumdrehen die verschiedensten Fragen ganz verschwinden werden, – eigentlich nur aus dem Grund, weil man sonst die verschiedensten Antworten auf dieselben erhielte. Dann wird ein Kristallpalast gebaut werden, dann... Nun, mit einem Wort, dann wird der Märchenvogel angeflogen kommen. Natürlich kann man nicht garantieren (jetzt rede wieder ich und von mir aus), daß es dann zum Beispiel nicht furchtbar langweilig sein werde (denn was soll man noch unternehmen, wenn alles schon auf der Tabelle ausgerechnet ist?), dafür wird es aber ungemein vernünftig zugehen."

 

Erfreulicherweise liegt auch hier eine Übersetzung von S. Geier vor. Sie erschien 1962 im Reclam-Verlag.