Bibliographie

Die hier aufgeführte Bibliographie besteht aus zwei Teilen. Zunächst finden Sie, falls Sie sich noch nicht so umfassend mit Fjodor Dostojewskij beschäftigt haben, Buchtippstipps, wie man beginnen könnte, sich dem Werk zu nähern. Diese Empfehlungen können Sie bei Amazon bestellen. Unten folgt eine bibliographische Liste, wobei sich hinter den angegebenen Büchern kurze erläuternde Kommentare finden.

Der Doppelgänger Ein Petersburger Poem

1846, als Russland noch staunte über den jungen Genius und sein Erstlingswerk „Arme Leute“, stellte Dostojewskij schon sein zweites Werk fertig, von dem er meinte dass es sein Ansehen als Schriftsteller nun endgültig festigen würde. In „Der Doppelgänger“ sollten die Probleme Russlands noch expliziter angesprochen werden als das in „Arme Leute“ geschehen war. Doch leider überforderte Dostojewskij sein Publikum und sich selbst, so dass die Kritik sehr bald und später auch er selbst von dem Buch Abstand nahm. Denn was der Autor hier der Öffentlichkeit präsentierte war ein Phantastischer Roman; inhaltsschwanger, bis zur Ungenauigkeit vielschichtig und nur durch aufwendige Deutung erschließbar. Dostojewskijs Bemühungen den Roman noch einmal zu überarbeiten wurden durch seine Verhaftung (1849) ein jähes Ende gemacht. Erst zehn Jahre später, nach seiner Rückkehr nach St.Petersburg, konnte er sein Vorhaben in die Tat umsetzen, so dass nun mindestens zwei Versionen des Textes vorliegen. Trotz alledem, oder gerade deshalb gilt „Der Doppelgänger“ noch heute als das vielleicht „mystischste“ Werk der russischen Literaturgeschichte.

"Der Unbekannte saß gleichfalls in Mantel und Hut vor ihm, auf seinem Bett, lächelte ein wenig und nickte ihm mit etwas zusammengekniffenen Augen freundschaftlich zu. Herr Goljadkin wollte schreien, brachte aber keinen Laut hervor. Er wollte auf irgend eine Weise Einspruch erheben, aber seine Kraft reichte nicht aus. Das Haar stand ihm zu Berg, er sank sinnlos vor Entsetzen auf einen Stuhl. Er hatte auch allen Grund dazu. Herr Goljadkin hatte seinen nächtlichen Freund nun erkannt. Dieser nächtliche Freund war kein anderer als er selber, ein zweiter Herr Goljadkin, der aber genauso aussah wie er selber – mit einem Wort das, was man einen Doppelgänger zu nennen pflegt..."

 

Jakow Petrowitsch Goljadkin, ein kleiner Kanzleibeamter mittleren Alters, bis zur Feigheit schüchtern und "übertrieben moralisch" sieht sich eines Nachts seinem vollkommenen Ebenbild, seinem Doppelgänger gegenüber gestellt. Der Fremde, seinem "Zwilling" erst freundschaftlich zugetan, mischt sich immer mehr in dessen Leben, hintergeht ihn, stellt ihn bloß und –um es Vorweg zu nehmen- treibt ihn schließlich in den Wahnsinn.

 

Hinter diesem fast trivialen dramaturgischen Konzept (mit der Dostojewskijschen Finesse natürlich entsprechend ausgestaltet) verbirgt sich ein Roman von fast schwindelerregender Tiefe und interpretatorischer Mannigfaltigkeit. Dostojewskijs Grundmotiv seiner frühen literarischen Jahre – Wie weit vergibt sich der Mensch an andere so dass er sich schließlich selbst verliert? – erfährt hier eine beeindruckende Materealisierung; Motiv wird zum Protagonisten. Von kleinbürgerlichem Ehrgeiz getrieben und von Moral und ethischen Prinzipien gehemmt ist unser Held nicht mehr in der Lage dem Leben standzuhalten, so dass sich schließlich der ehrgeizige, unmoralische Teil von ihm abspaltet und in Form seines Doppelgängers erscheint. Dieser nimmt all die Möglichkeiten wahr die sein ehrbares Original seiner Gesinnung entsprechend auslassen musste.

Und hier finden wir die Sozialkritische Ebene des Buches. Der Autor persifliert die Karrieresucht der Russen welche die Ämtererweiterung Zar Nikolaus´ I. zur Folge hatte. Dekadenz und Intrigantz bestimmten den Zeitgeist.

Zum Anderen gibt uns hier Dostojewskij ein weiteres Mal eine Kostprobe seines psychologischen Verständnisses. Fast wie aus einem medizinischem Lehrbuch erscheint uns die Wiedergabe eines geistigen Verfalls, unserem Helden wiederfahren alle Symptome einer paranoiden Schizophrenie.

Und auf der philosophischen Ebene behandelt Dostojewskij die Grundfragen der menschliche Existenz. - „Ich bin nicht ich, sondern jemand ganz anderer...“ –

Raskolnikow wie auch Ivan Karamasow erfahren hier ihre Vorwegnahme, und so ist unser Held Goljadkin auch wenn er, wie die Geschichte selbst, etwas kurzbeinig und atemlos daherkommt, ein Meilenstein in Dostojewskijs Literatur.

Da, wie oben schon angesprochen, mehrere Versionen des Textes vorhanden sind, ist es nicht sinnvoll einer bestimmten Übersetzung eine Empfehlung auszusprechen. Dieses Buch ist grundsätzlich eine intellektuelle Bereicherung!

 

Text von Nico